Interview: „Ein Mehr ist fast immer möglich“

Susanne Leimeister

Susanne Leimeister

Susanne Leimeister, Abteilungsleiterin Sport und Behinderten-Beauftragte des Deutschen Golf Verbandes (DGV), fordert von den Clubs eine Welcome-Kultur für Menschen mit gesundheitlichem Handicap.

? Verfügt der DGV über verlässliche Zahlen, wie hoch der Anteil behinderter Sportler in den Golfvereinen und das Potenzial  überhaupt ist?

Leimeister: Leider nicht, denn das wäre auch ziemlich schwierig. Fest steht: 65-70 Spieler nehmen jährlich an der Deutschen Meisterschaft der Golfer mit Behinderung teil.  Es gibt Behinderungen, die nicht immer sichtbar sind. Und die Betroffenen sehen sich vielleicht oft  gar nicht als Behinderte.

? Haben die Golfclubs auch solche Schwierigkeiten, die Dimensionen zu beziffern?

Das ist gewiss so. Die spannende Frage ist doch, wer sich selbst als Behinderter betrachtet? Ist das etwa der Grad der Behinderung auf dem Ausweis, den wir bei unseren Meisterschaften mit 50% zugrunde legen?  Das kann  natürlich auch Fälle wie etwa Krebs, Herzinfarkte oder  Knochenerkrankungen betreffen. Oder ist Behinderung – so jedenfalls sieht das der europäische Golfverband – eine sichtbare Sache wie etwa bei Contergan-Fällen, Bein – und  Armamputationen?  Viele Krebserkrankte oder Schlaganfall-Patienten z.B. können ohne wesentliche Beeinträchtigung des Schwungs durchaus Golf spielen und tragen ihr gesundheitliches Handicap auch gar nicht groß in die Öffentlichkeit.  Behinderte Menschen sind für uns eine Zielgruppe, die ziemlich weit gefasst ist.

? Wie sieht die Politik und die Strategie des Deutschen Golf Verbandes  beim Thema Behinderungen aus?

Das Thema Inklusion steht bei uns auf der Agenda. Der Golfsport kann von Behinderten in der Regel genauso ausgeübt werden, wie die meisten anderen Sportarten auch. Wir werden uns insgesamt stärker im Bereich der Gesundheit engagieren –  insbesondere durch Prävention und Rehabilitation. Dafür ist Golf als Freiluft-Sportart  natürlich prädestiniert. Ein Sport, den man überdies bis  ins hohe Alter ausüben kann. Von diesem gesundheitlichen Faktor profitieren nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern alle Golfspieler.

? Das klingt fast ein wenig marginal, so nach dem Motto „nice to have“.

Keineswegs. Wir arbeiten seit mehren Jahren sehr eng mit einschlägigen Sportverbänden und natürlich dem Behinderten Golf Club Deutschland  (BGC) zusammen und haben diverse Arbeiten und Schwerpunkte klar abgegrenzt. Der DGV kümmert sich um den Leistungssport  und der BGC ist stärker bemüht, durch sein Wettspielangebot auf regionaler Ebene zu wirken und Aufgaben zu übernehmen, die im gesellschaftlichen Bereich angesiedelt sind.

? Ist das Thema in den deutschen Golfclubs schon ausreichend angekommen?

Bei unseren Befragungen konnten wir feststellen, dass viele Clubs etwa durch Bildung von Behindertengruppen sehr gute Erfahrungen gemacht haben. Die Aktivitäten sind  dort weit vorangeschritten und  präsent.  Natürlich gibt es – wie das im Vereinsleben immer zu beobachten ist – auch Clubs,  die sich wenig, bis gar nicht in diesem Bereich engagieren. Ein Mehr ist fast immer möglich.

? Wo stehen wir in diesem Handlungsfeld im internationalen Vergleich?

Ich denke, wir sind da ganz vorne mit dabei. Während sich bei uns der Spitzenverband DGV dieses Themas angenommen hat, ist es in vielen anderen europäischen Verbänden noch allein bei den Behinderten-Organisationen angesiedelt. Die Trennung ist zum Teil viel stärker ausgeprägt.  Der DGV hat auf seiner Website im Internet einen eigenen Bereich für das Behindertengolf mit Links und vielen weiterführenden Informationen geschaffen. Die Behinderten sind bei uns vollkommen gleichberechtigt.

? Ist das als Anregung für die Clubs zu verstehen, auf ihren Homepages mehr  Offenheit und Welcome-Mentalität für diese Zielgruppe zu dokumentieren.

Vollkommen richtig. Diese Willkommenskultur, die wir im DGV und vielen unserer Clubs haben, die dokumentieren wir durch die Gleichberechtigung dieser Zielgruppe mit anderen Zielgruppen über das Internet.

? Welche deutschen Golfclubs machen aus ihrer Sicht in puncto Behinderung besonders vorbildliche Arbeit, setzen Benchmarks, an denen sich andere orientieren können?

Der BGC hat über 22 Partnerclubs gelistet, die sehr aktiv sind. Darüber hinaus gibt’s aber zahlreiche weitere Vereine, die hervorzuheben wären. So beispielsweise der Bielefelder Golf Club, der in diesem Jahr ein integratives Golfturnier ausrichtet oder der Universitäts Golf Club Paderborn, der vorbildlich mit der sportmedizinischen Fakultät zusammenarbeitet.

?Ist das ein Weg für die Clubs, um sich gegenüber der Lokal- und Regionalpresse stärker ins Blickfeld zu bringen?

Die Golfclubs müssen verschiedene Zielgruppen stärker fokussieren und dafür auch Marketingtools entwickeln. Die Jugend, der Leistungssport, Golf und Natur oder vielleicht auch der Gesundheitssport. Da fallen die Menschen mit Behinderung durchaus mit rein. Es geht nicht alles von heute auf morgen, das muss sich einspielen und wirken, danach hat der Golfsport ein anderes Gesicht.

? Warum ist Golf 2016 nicht im Programm der Paralympics?

Es ist unser Ziel, daran mitzuwirken dass unser Sport auch für Behinderte olympisch wird. Dafür müssen aber weltweit noch in drei Kontinenten mit 24 beteiligten Nationen die entsprechenden Strukturen geschaffen werden. Wir stehen schließlich in Konkurrenz zu vielen anderen Sportarten,  die ebenfalls paralympisch werden wollen.

Interview: Friedrich Bräuninger