Inklusion: “ Wir sehen erst den Bodensatz“

– Von Friedrich Bräuninger –

In der Manier eines allseits respektierten und beliebten Patrons hat Elmar Vedovelli für den DGV den Behinderten-Golfsport in Deutschland 16 Jahre geprägt. Foto: Wirtz

In der Manier eines allseits respektierten und beliebten Patrons hat Elmar Vedovelli für den DGV den Behinderten-Golfsport in Deutschland 16 Jahre geprägt. Foto: Wirtz

Was ist im Golfsport für Menschen mit Behinderung bislang erreicht worden? Wie müssen die Weichen in Zukunft gestellt werden? Elmar Vedovelli (70), langjähriger und spezialisierter Spielleiter des Deutschen Golf Verbandes (DGV), zieht im Interview mit baymego.de eine durchaus kritische Bilanz.

 

 

 

 

Lassen Sie uns nach Ihrer 16jährigen Tätigkeit als Spielleiter des DGV (u.a. für Golfer/innen mit Behinderungen) mal einen Strich ziehen. Was haben Sie bewirken können?

 Anfangs gab es in einer ersten Gruppe von gerade mal 20 Behinderten-Golfern nicht unerhebliche Geburtswehen und Unstimmigkeiten z.B. wegen  noch nicht modifizierter Abläufe bei Turnieren. Man hatte auf die speziellen Belange von Spielern mit gesundheitlichen Einschränkungen damals noch kaum Rücksicht genommen. Deswegen hatte der noch junge Behinderten Golf Club Deutschland e.V. (BGC)  den Deutschen Golfverband  gebeten, sich dieser Sache anzunehmen und ich wurde vom DGV unter den Spielleiter-Kollegen/innen mit dieser Aufgabe betraut. Als eine der ersten Maßnahmen haben wir für diese Gruppe die Spieldauer von den üblichen  viereinhalb Stunden auf sechs Stunden ausgedehnt. Wir haben das Turnier den Spielern angepasst in Übereinstimmung mit den bestehenden Golfregeln, auch der Golfregeln für Golfer mit Behinderungen.

Mit welchem Erfolg?

Das hat viel gebracht. Die Spiele wurden auf einmal glückvoller und die Golfsportler mit Behinderungen fühlten sich nicht mehr so getrieben. Jeder konnte sich fortan  auf sein Spiel konzentrieren zum Wohle des gesamten Turnierablaufs.

Das Pflänzlein begann also zu wachsen?

Ja, das kann man so sehen. Allerdings habe ich schon früh festgestellt, dass sich bei den gesundheitlichen Handicaps ein Problem medizinischer Natur auftat. Die Unterteilung etwa in Arm, Bein, Mental, oder Blind stellte nicht den Umfang der Behinderung im Detail dar. Beispiel: dem einen, der unter „Arm“ eingeteilt wurde, fehlte der Daumen, beim anderen waren Finger verkrüppelt, der nächste hatte einen steifen Arm, dem einen fehlte ein Unterarm oder dem anderen gar das komplette Gelenk. Wie sollte man das in dieser Kategorie richtig bewerten und berücksichtigen? Schon in dieser Phase reifte in mir der Entschluss, mich näher mit der Problematik zu beschäftigen. Das waren die Anfänge, aber wir mussten erstmal mit dem leben, wie es damals eben war.

Dieses Problem ist doch bis heute nicht gelöst und sorgt gerade bei Turnieren immer wieder für unterschwellige Diskussionen. Wie könnte die Lösung aussehen?

Bemerkungen wie “ Was hat denn der am Bein, der kann doch gehen“ höre ich immer wieder. Nach meiner Überzeugung ist alles eine Frage des Golfschwungs und der Möglichkeit, mittels dieses Schwunges den Ball in eine zielgenaue Richtung und Entfernung zu befördern. Hier müssen wir ansetzen.

Wird das die Diskussionen über den Grad der Behinderung beenden?

Wohl kaum, das hat man bei den jüngsten Deutschen Meisterschaften in Abenberg wieder auffällig gemerkt. Wir haben dort erstmals die Kategorie „Sonstige“ in A und B unterteilt, also mit Schwungbehinderung und ohne. Einige Teilnehmer haben das gleich wieder falsch verstanden und gesagt, wir haben doch bisher in der Kategorie „Bein“ gespielt. Optisch sind sie zwar in der Mobilität behindert, aber die sagen, ich hab ja noch die und die Krankheit, deshalb ist mein Schwung beeinträchtigt. Das führte jedenfalls dazu, dass z.B. Personen aus der Kategorie „Bein“ völlig unterschiedlich spielten. Wer eine Prothese hatte, verfügte über ein ganz anderes Schwungvermögen als ein Beinamputierter.

Also ist es in  16 Jahren nicht gelungen, die  Frage zufriedenstellend und  einvernehmlich zu klären, wer in welchem Maße behindert ist?

Nein! Zumindest was die Feineinteilung angeht, über die immer wieder diskutiert wird. Und das wird auch weiterhin ein Diskussionspunkt sein. Manche berufen sich da auf die EDGA (European Disabled Golfer Association),  wo in ihrem jeweiligen Fall dies oder jenes anerkannt worden sei. Und schon haben wir wieder keine Einheitlichkeit.

Ist es bislang ins Benehmen des einzelnen Behindertengolfers gestellt, wo er sich sieht und  kategorisiert?

Richtig. Wir haben uns bis dato am Schwerbehindertenausweis orientiert, also an einem GdB (Grad der Behinderung) von 50 plus. Der Golfschwung an sich ist hierbei kein Kriterium. Bei Amputierten, Gelähmten, Gehörlosen oder mental Behinderten etwa ist die Einschränkung meist offensichtlich. Aber  ähnlich wie bei den Blinden  (schwarzblind, graublind und partiell noch Umrisse wahrnehmend) gibt es auch in den anderen Behinderungsgruppen feine Unterschiede und Unterteilungen, die wir als Nichtmediziner weder feststellen noch beurteilen können. Über den Golfschwung an sich ist bei den bisherigen Kategorisierungen überhaupt nichts ausgesagt.

Und hier wollen Sie ansetzen?

In Zusammenarbeit mit der Sporthochschule Köln hatte ich dieses Thema schon frühzeitig  in Angriff genommen, doch der Ansatz ist -wie so häufig- an den fehlenden finanziellen Mitteln gescheitert.  Aber ich möchte mich weiterhin damit beschäftigen und hoffe, dass mich der DGV mit diesen Aufgaben betraut. Es gibt entsprechende Signale, die mich freuen.

Konkret: wie muss man sich Ihren Ansatz vorstellen?

Der Golfschwung wird anhand einer idealtypischen Person digitalisiert und mittels eines wissenschaftlich unterlegten Rasters  kann man dann ableiten, welche Einschränkungen, welches zusätzliche Handicap der Behinderte bei wiederkehrenden  Schwüngen hat. Wenn das im Zählwerk berücksichtigt wird kann etwa ein Beinamputierter oder mental Geschädigter völlig Regel-konform  mit jedem nicht behinderten Golfer spielen. Das ist ja meine Idee: jeder Behinderten-Golfer muss diese Auswirkungen auf den Golfschwung untersuchen und testieren lasen, so dass die eigentliche Behinderung gegenüber dieser Messziffer in den Hintergrund tritt oder keine Rolle mehr spielt. Alle zu homogenisieren, weg von dem Bein, Arm, Blind, Mental und Sonstige, sondern über ein Handicap-System, an dem jeder teilnehmen kann. Jeder  müsste sich dieser medizinischen Beurteilung stellen, wo auch immer diese stattfinden  mag. Und das muss dann natürlich regelmäßig überwacht werden.

Das heißt, der Spieler muss fachmedizinisch gescannt  und ärztlicherseits begleitet werden?

So ist es, das ist meine Vision, die bislang hauptsächlich  aus wirtschaftlichen Gründen gescheitert ist.

Wie könnte man das ändern?

Wir brauchen mehr Mitglieder, die sich an diesem Vorhaben ideell beteiligen. Nach meiner Überzeugung haben wir im Schnitt mindestens fünf Golfer in jedem Golfclub dieser Republik mit einem GdB von 50 plus. Bei 700 Clubs wären das rund 3500 Spieler, die schon eine veritable  wirtschaftliche Macht darstellen. Will heißen, dass sich nicht nur der orthopädische, sondern der gesamte medizinische Sektor für diese Angelegenheit interessieren kann. Ich denke da auch an die Kardiologie, die innere Medizin, die gesamte Prothetik und all jene, die sich etwa unter dem Stichwort „Biorhythmik im Schwung“  mit dieser Angelegenheit befassen – nicht nur wegen des Golfsports, sondern auch als REHA-Maßnahme.

Kommen wir noch mal zurück zum Anfang. Was waren die Highlights ihrer 16 jährigen Amtsperiode als Patron von 15 Deutschen Meisterschaften und einer Europameisterschaft der Behinderten-Golfer?

Wir haben mal mit 17 Spielern angefangen. Heute sind es bei den Deutschen Meisterschaften regelmäßig über 70 und wir hätten Platz für gut 90 Teilnehmer. Das zeigt: Der Golfsport für Menschen mit Behinderungen hat eine erfreuliche Akzeptanz und Dynamik entwickelt, er  wird über kurz oder lang paralympisch, so meine Hoffnung. Ich schätze, dass es  in zehn Jahren soweit ist.  Behinderte Golfer lassen sich nicht mehr einfach abdrängen, sie bekennen sich zu ihrem gesundheitlichen Handicap. Von Ländern wie Frankreich, Holland, Japan oder Südafrika können wir da viel lernen. Aber auch in immer mehr deutschen Golfclubs ist das Thema Inklusion angekommen, schon werden dort erste Behindertenbeauftragten ernannt. Man kann also sagen, dass wir einen gewissen  Bodensatz erreicht haben. Aber natürlich gibt es noch ein großes Potential, viel Luft nach oben.

Lassen Sie uns zum Schuss über einige Schattenseiten reden. Was macht ihnen Sorgen?

In  dem Maße, wie sich der Golfsport für Behinderte positiv entwickelt hat, ist auch die Anspruchshaltung vieler Spieler  gewachsen. Nach dem Motto: Uns geht’s schlechter als den anderen, also können wir von Haus aus gleich mehr fordern. Das gilt sowohl für die Gewinnerpreise bei Turnieren, Reisekostenzuschüsse, die Zusammenstellung des Essens und so weiter. Meine Gegenfrage ist dann immer: was kriegen wir von Euch? Bei den Deutschen Meisterschaften in  Abenberg zum Beispiel lag das HDC im Durchschnitt bei 17,4 – ein Wert, der sich im Laufe der Jahre ständig verschlechtert hat. Der DGV hat eine ganze Menge in das Thema investiert. Zu Recht gibt es da den Wunsch, dass  die Leistungen besser werden müssen. Jeder hat ein offenes Ohr wenn die Ansinnen nicht nur eine Einbahnstrasse sind. Jeder Spieler ist auch dazu aufgerufen, auf den Golfsport für Golfer mit Behinderungen hinzuweisen, denn wer könnte besser für die Sache werben, als die, die davon direkt betroffen sind. Wenn das geschieht, habe ich keine Probleme weiterhin an meine Herzensangelegenheit zu glauben. Aber auch ein Grashalm wird nicht länger, wenn man daran zieht. Alles braucht seine Zeit.